Erzbischof Marcel Lefebvre: Das Wesen der Bedeutung, die dem Konzil von Trient zukommt

Quelle: Distrikt Deutschland

Aus einem Wort des Generaloberen der Spiritaner (September/Oktober 1965)

Bossuet, und mit ihm die katholische Theologie, unterscheidet in der Tat sehr deutlich zwei ganz verschiedene Tatsachen: die Geschichte des Konzils und seine Lehrautorität. Seine Geschichte hat wechselnde Gesichter gezeigt, unsichere Seiten, manchmal fast in der Nähe des Lächerlichen. Wir haben die Schwierigkeiten kennengelernt, die es zu überwinden galt, um es zu versammeln, die Widerstände, auf die es stieß, nicht nur von protestantischer Seite, sondern auch von gewissen katholischen Gruppen, von ganzen Landeskirchen, wie der gallikanischen Kirche; in manchen Abschnitten zeigten sich Spaltungen, es gab Einmischungen von Diplomaten in seine Streitgespräche. Aber sobald die Entscheidungen des Konzils errungen waren, sobald das Konzil seinen allgemeinen, verbindlichen Charakter wieder zeigte, sowohl durch die päpstliche Bekräftigung als auch durch die zuerst stillschweigende, sodann aber ganz ausdrückliche und formelle Zustimmung der Gesamtkirche, verschwindet all diese menschliche Seite seiner Geschichte vor dem Gewicht seiner Entscheidungen.

Gewiss gehören die Theologen, die sie erarbeitet haben, zu den unterschiedlichsten Schulen, es sind Thomisten, Skotisten, Nominalisten, Augustiner; aber nach oft heftigen, manchmal stürmischen Diskussionen einigten sich alle auf Formulierungen, die sowohl vielseitig als auch weit ausholend, dabei genau und eindeutig sind. Sie sind eindeutig in bezug auf die Lehre, vielseitig, was die erlaubte Meinungsfreiheit betrifft. Aus diesem Grund konnten diese Formulierungen ein unerschöpfliches Thema für den Unterricht und die Betrachtung werden. Wir finden darin sowohl die Zusammenfassung der Heiligen Schrift als auch einen Überblick über die christliche Überlieferung. Sie sind die bestätigte und unfehlbare Auslegung der Heiligen Schrift und der Überlieferung. Die Theologen können alle ihre Einzelheiten untersuchen und alle Bedeutungsabstufungen darlegen, und dabei sicher sein, dass sie darin nur Göttliches vorfinden, oder, wenn jemand es vorzieht, es so auszudrücken, eine menschliche Übertragung, die vom Heiligen Geist persönlich abgesichert ist. Sie sind also eine beständige Nahrung für den christlichen Glauben. Und Trient ist auch eine Quelle geistlicher Erbauung, dessen Reichtum nicht hoch genug veranschlagt werden kann. Möchte doch jemand das Dekret über die Erbsünde, dasjenige über die Rechtfertigung, das mit Recht als das Meisterwerk des Konzils gilt, nachlesen und durchdenken, oder die Dekrete über die Sakramente, so wird er darin den knappsten und kräftigsten Ausdruck des katholischen Glaubens finden, insofern er das Werk unserer Rettung auffasst als eine Zusammenarbeit der göttlichen Gnade mit der menschlichen Freiheit, der unendlichen Liebe Gottes mit der Erbärmlichkeit und dem Elend des Menschen. Um die Andacht zum allerheiligsten Altarsakrament und zum heiligen Messopfer zu nähren, gibt es nichts Eindrucksvolleres als das Studium der Dekrete des tridentinischen Konzils über diese beiden Gegenstände.

Zusammenfassend können wir sagen, dass das Konzil von Trient in der natürlichen und rechtmäßigen Nachfolge aller vorangegangenen Konzilien steht. Die Theologen und Konzilsväter, die damit ihre Überlegungen vorbrachten, hatten eine ganz mittelalterliche Ausbildung. Ihr Denken ist eine Entfaltung des mittelalterlichen Denkens. Zudem waren ihnen die veränderten Vorstellungen ihrer Zeit durchaus vertraut. Sie wollten den Glauben weder diesen Vorstellungen angleichen noch viel weniger ihn abändern. Es wäre leicht nachzuweisen, dass sie es nicht getan haben, auch nicht ohne es zu wollen und zu merken. Die Geschichte ihrer Disputationen über die Begriffe ist in dieser Hinsicht entscheidend. Dieses Konzil hat nur bereits feststehende und beglaubigte Lehrmeinungen, zumindest einschlussweise seit langem bestehende Lehrmeinungen, in sein Gesetzeswerk aufgenommen, man könnte sagen, von jeher bestehende Lehren. Das Konzil hat es im Allgemeinen vermieden, unter katholischen Theologen umstrittene Fragen zu entscheiden. Es hatte nur die eine Sorge, nämlich die eindrucksvolle Überlieferung angesichts der protestantischen Neuerungen aufzurichten. Selbst auf dem Gebiet der Kirchenzucht, auf dem seine Leistung auch beträchtlich war, wenn auch aufs Ganze gesehen weniger umfassend als auf dem Gebiet der Lehre, hat es wenig neu verordnet, es hat kaum etwas anderes getan, als eine Wiederherstellung der Disziplin auf die gesamte Kirche auszudehnen, die an vielen Orten schon spontan begonnen hatte und an einigen fast vollendet war.

Es ist ganz unmöglich, daran zu zweifeln, dass es in Italien in der ersten Hälfte des 16. Jahrhundert eine ganze Heerschar von Heiligen gegeben hat, die mit glühendem Eifer das Werk der Erneuerung durchführten und deren Beispiele und Anstrengungen den Weg für die heilsamen Berichtigungen entsprechend dem Konzil von Trient anbahnten. Die einzelnen Daten dieser Erneuerung beweisen mit jeder gewünschten Klarheit, dass in den meisten Fällen die Tätigkeit dieser frommen Diener Christi in Bewegung geraten war, ohne dass die Empörung Luthers auf sie den geringsten Einfluss ausgeübt hätte, dass diese Empörung höchstens eine Beschleunigung für die Durchführung der heiligen Absichten, von denen sie durchdrungen waren, bewirkte. Deshalb können wir von Italien, wie im Übrigen von Spanien, sagen, dass die katholische Erneuerung dort der protestantischen Revolution vorausgegangen ist und dass sie sich dort genau im Mittelalter verwurzelt hat.

„Wort des Monats“ September-Oktober 1965